Robby Basler
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An den Bundestagsabgeordneten
Herr/Frau
Platz der Republik 1
11011 Berlin

Frankfurt, den 09.12.2017





Sehr geehrte Bundestagsabgeordnete,

anbei erhalten Sie eine Kopie des Briefes an Rainer Eppelmann. Ich möchte Ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme bieten, bzw. sich an der Aufklärung zu beteiligen, warum der Bundestag zur Frage der institutionellen Opfer, die Menschenrechtsverbrechen in Minderjährigkeit erlagen, gesetzgeberisches Tätigwerden unterlässt? Ich möchte Sie hiermit anregen, sich für die Opfergruppe im Bundestag unverzüglich einzusetzen, gesetzgeberisches Tätigwerden einzufordern. Für Ihr Interesse danke ich im Voraus.



Sehr geehrter Herr Eppelmann.

Als Humanist setze ich mich seit über 10 Jahren für die Rechte der 400.000 gesamtdeutschen institutionellen Opfer ein, die Menschenrechtsverbrechen in Minderjährigkeit erleiden mussten. Darunter befinden sich auch ca. 120.000 Opfer der SED-Diktatur, die der dortigen Erziehungsgewalt in Spezialkinderheimen, Jugendwerkhöfen oder in anderen staatlichen Institutionen unterlagen oder zwangsadoptiert wurden. Ich bin eines dieser Opfer.

In meiner Recherchearbeit zu den Schutzpflichten des Staates Bundesrepublik Deutschland, insbesondere zur Normenkonkretisierung aus Art. 39 der Kinderrechtskonvention, der UN-Resolution 60/147 zu Genugtuungsrechten, UN_Resolution 56/83 zur Staatshaftung, UN-Resolution 53/144 zur Förderung der Menschenrechte, zur UN-Millenniums-Erklärung zur Schutzpflicht des Staates, den Internationalen Pakten über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie der bürgerlichen und politischen Rechte zum Schutz von Kindern und Rechten auf Zugang zur Bildung, dem Menschenrechtsgerichtshofurteil im Fall Luise O´Keeffe 35810/09 zur staatlichen Pflicht, für Genugtuungsmechanismen zu sorgen, stieß ich auf Ungereimtheiten bezüglich der innerstaatlichen Umsetzung völkerrechtlicher Normen.

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Ich wende mich daher nun an Sie Herr Eppelmann, weil sie im Jahre 1994 Vorsitzender der Enquete-Kommission waren und in Ihrem Abschlussbericht „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ folgende Aussagen trafen:

Drucksache 12/7820 vom 31. 05. 94 Deutscher Bundestag 12. Wahlperiode,
Bericht der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen
der SED-Diktatur in Deutschland" gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 12. März 1992 und vom 20. Mai 1992 — Drucksachen 12/2330, 12/2597 — Seite 64

Umerziehung in Spezialheimen und Jugendwerkhöfen

Eine unbeabsichtigte Folge des Ziels, sozialistische Persönlichkeiten zu formen, war die Hilflosigkeit von in pädagogischem Optimismus gedrillten Erziehern gegenüber Kindern und Jugendlichen, die sich nicht anpassen wollten oder konnten. Politisch renitente
Jugendliche, kindliche und jugendliche Straftäter, Heranwachsende mit Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen ließen sich nur schwer oder auch gar nicht im gewünschten Sinne pädagogisch beeinflussen [--> Expertise Hille]. Auch in der Pädagogik neigte man dazu, den Widerspruch zwischen den politischen Anforderungen und der Wirklichkeit mit Beschönigungen zu „überwinden". Dies wirkte sich auch bei der „Umerziehung" von schwer erziehbaren Heranwachsenden aus. Entwürdigende Disziplinierungspraktiken
sind in einigen Kinderheimen (Spezial- und Durchgangsheimen) systematisch angewendet worden, also in Kenntnis und mit Billigung der jeweiligen Heimleitung [--> Expertise Hannemann, Beispiele für Brutalität durch Erzieher in einigen Jugendwerkhöfen
[--> Expertise Sengbusch].

Es gab in der DDR Normalkinderheime und — abgestuft mit zunehmender Intensität in der Anwendung von Zwangs- und Disziplinierungsmaßnahmen — Spezialkinderheime, Jugendwerkhöfe für Jugendliche sowie für sich als besonders renitent erweisende
Jugendliche den geschlossenen Jugendwerkhof Torgau.

Als Kernproblem der Persönlichkeitsdeformierung, die zur Einweisung in ein Spezialkinderheim oder in einen Jugendwerkhof führte, wurden individuelle Konflikte zwischen dem einzelnen und den gesellschaftlichen Verhaltensnormen genannt, die sich u. a. in einer negativ eingeschätzten politisch-ideologischen Position, in negativer Einstellung zum Lernen und zur Arbeit und in Rechtsverletzungen äußerten.

Die Umerziehungspädagogik in den Spezialheimen und Jugendwerkhöfen war Ausdruck einer Radikalisierung der Erziehungskonzepte in der DDR; sie beruhte auf dem Prinzip absoluter Gruppenerziehung. Es gab keine individuelle Förderung, vielmehr waren völlige Anpassung und Aufgabe der Individualität das pädagogische Ziel. Gewaltanwendung und
Isolierhaft gehörten zu den pädagogischen Mitteln [-->Hannemann, Protokoll Nr. 31]. Einweisungsgründe waren Fluchtversuche, renitentes Verhalten, wiederholte Arbeitsverweigerung, „Aufwiegelei", Angriffe auf Erzieher, Kritik am gesellschaftlichen
System der DDR, die Weigerung, im „offenen" Jugendwerkhof eine gesellschaftliche Funktion (z. B. FDJ-Sekretär) zu übernehmen.

Im geschlossenen Jugendwerkhof Torgau wurden Jugendliche ab vierzehn Jahren psychisch und physisch geschädigt und einzelne sogar in den Selbstmord getrieben. Es handelte sich um Jugendliche, bei denen Erziehungsmethoden in anderen Jugendhilfeeinrichtungen versagt hatten [---> Expertise Sengbusch].

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Martin Hannemann war Mitarbeiter in einem DDR-Kinderheim. Er sprach als Zeuge in der 31. Sitzung der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ bereits im März 1993 vor.

Ausschlaggebend war für mich daher, was sich in Band III/1: „Rolle und Bedeutung der Ideologie, integrativer Faktoren und disziplinierender Praktiken in Staat und Gesellschaft der DDR“ herausgegeben vom Deutschen Bundestag, Frankfurt am Main 1995, S. 288-309 und darüber hinaus finden lässt, was beweisen kann, dass der Bundestag bereits im Jahr 1994 wissen musste, dass Minderjährige Menschenrechtsverbrechen auch in systematischer Form unterlegen waren und der Gesetzgeber des Staates BRD Schutzpflichthandlung unterließ, Genugtuungsmechanismen zu schaffen.

Dies wäre ein erheblicher Beweis, dass die Opfer absichtlich in Lebensverhältnisse
belassen wurden, die dazu dienen können, das Leben der Opfer zu verkürzen, wenn Schutzpflicht, Genugtuungsmechanismen, Genesung der Würde, Wiedereingliederung in die Gesellschaft und Wiedergutmachung nicht gewährt werden und die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Opfer daher Zeit Lebens gehemmt bleibt, dass sie unnatürlich verfrüht aus wirtschaftlichen, psychischen, gesundheitlichen Gründen aus dem Leben scheiden. In der Fachsprache spricht man von Euthanasie durch Lebensverhältnisse, die als eine Form des Genozids gilt und somit den Tatbestand eines Völkerrechtsverbrechens begründen könnte, wenn die Opfergruppe mit Waffengewalt und ständiger Identifizierbarkeit Verbrechen wie Zwangsarbeit, Bildungsvorenthaltung, psychische, physische und sexueller Gewalt ausgesetzt wurden und sie in diese Lebensverhältnisse trieb. Da Waffengewalt und ständige Identifizierbarkeit vorlag, auch die Opferzahl, die für die Betitlung „Konflikt“ benötigte Größenordnung von 1.000 Opfern voraussetzt vorlag, scheint die Voraussetzung für den Verdacht eines Völkerrechtsverbrechens erfüllt.

Die Frage die sich nun stellt, ist jene nach der Vorgesetztenverantwortlichkeit, wer denn die Verantwortung trägt, den Opfern die Schutzrechte vorenthalten gehabt zu haben und das Verbrechen nicht zur Anzeige gebracht zu haben, dass das Morden an dieser Opfergruppe durch besagtes Belassen in Lebensumstände beendet wird?

Um das herausfinden zu können, habe ich jene Frage zu beantworten, warum, wenn doch die Enquete-Kommission die systematischen Verbrechen an den Opfern erkannte und in seinem Abschlussbericht dem Bundestag überreichte, eben genau jene Genugtuungsmechanismen aus o.g. Schutzpflichtversprechen diverser Menschen- und Völkerrechtsverträge den Opfern gesetzgeberisch vorenthalten bleiben?

Ich begab mich daher nochmals in die Deutsche Nationalbibliothek um den Wortlaut Martin Hannemanns zu recherchieren. Auf Fragen der Kommission antwortet er (siehe Bd.III/1 Seite 288-309):

„Wie groß ist denn die Zahl derjenigen Kinder gewesen, die ein solches Spezialkinderheim durchlaufen haben? Wenn es auch nur wenige gewesen wären, wäre es unerträglich. Aber wir als Enquete-Kommission sollten eine ungefähre Vorstellung haben, ob es sich um wenige Fälle oder doch um eine große Zahl von Kindern handelt, die so etwas durchmachen mussten.“




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„In der Tat werden wir als Enquete-Kommission zu überlegen haben, was man tun kann, damit Diskriminierungsmechanismen gegenüber diesen Kindern nicht auch noch heute weiterwirken. Das wird eine der Fragen sein, mit denen wir uns beschäftigen müssen.“

Zeuge Martin Hannemann zu der Anhörung: „Es gab in der DDR 38 Spezialheime mit einer Kapazität von etwa 3.800 Plätzen“ und „Es gab in der DDR 32 Jugendwerkhöfe mit einer Kapazität von etwa 4.000 Plätzen“

Dieser Zeuge berichtete zu dem von illegalen Arrest-Strafen, ständiger Gewalt, ständiger Drohgebärde und vor allem von „Inzuchtheimen“, in denen allerlei Unrecht auswucherte und erwähnte hier insbesondere die Einstellung zur Gewalt. Auch berichtet er über territoriale Abschottung der Opfer von der übrigen Gesellschaft.

Die Erkenntnis erlangte die Enquete-Kommission am 16. März 1993. Obwohl die Kommission den Ernst der Lage erkennt, gibt es kein gesetzgeberisches Tätigwerden. Hier wird auch bewiesen, dass der Bundestag sehr wohl von der Unterscheidung Normalheim zu Spezialheim erfahren hatte. Daher ist unklar, warum Expertisen nur zur allgemeinen Heimerziehung später in Auftrag gegeben worden waren und an den Runden Tischen Heimerziehung noch immer von Einzelfällen in der Heimerziehung die Rede war? Fakt jedoch ist, dass das Schutzbedürfnis der Opfer missachtet wurde, keinerlei Strafverfolgung in Auftrag gegeben wurde, keinerlei Genugtuungsmechanismen für die Opfer geschaffen wurden. Aufgabe der Kommission war, den Bundestag hierüber aufzuklären.

Auf Seite 10 unter Punkt IV des Berichts der Kommission in Drucksache 12/7820 des Bundestages heißt es hierzu wie folgt:

Die Kommission soll vorrangig folgende praktischen Konsequenzen ihrer Arbeit anstreben:

unter Anderen:

- Beiträge zur politischen und moralischen Rehabilitierung der Opfer und zur Überwindung der diktaturbedingten Schäden.

- Handlungsempfehlungen an den Deutschen Bundestag im Hinblick auf gesetzgeberische Maßnahmen und sonstige politische Initiativen.

Im Vorwort gleicher Drucksache heißt es hierzu: Die Enquete-Kommission hatte schließlich den Auftrag, dem Gesetzgeber Hinweise darauf zu geben, auf welche Weise die Beseitigung der Folgen der SED-Diktatur in Deutschland weiter vorangetrieben werden kann.

Ich bitte Sie Herr Eppelmann daher in aller höflichster Form um Aufklärung, an wen der Abschlussbericht überreicht wurde und warum der Bundestag nicht gesetzgeberisch tätig wurde, das Leid der Opfer zu beenden?






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Ich möchte Ihnen natürlich das Bedürfnis der Opfer auf Aufklärung begründen. Nach wie vor leben die Opfer in einem Rechtsvakuum. Sich darüber vor der UN zu beschweren ist dank Stichtagesklausel im 3. Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention dieser Opfergruppe unmöglich gemacht worden gleichwohl die Konvention selbst für die Opfer volle Rechtsentfaltung erlangt. Dies jedoch unterließ Bundestagsmitglied und ehemalige Kinderrechtsbeauftragte des Bundestages Marlene Rupprecht SPD wieder besseren Wissens, ihr können mindestens vier einschlägige Teilnahmen an Normendiskussionen zur Kinderrechtskonvention nachgewiesen werden, den Mitgliedern des Bundestages mitzuteilen, sie über die Normen der KRK in den Heimkinderdebatten des Jahres 2009 im Plenum aufzuklären. Obwohl sie selbst von einem zu schaffenden Recht für die Opfer sprach, erhielten die Opfer anstelle von Rechten, nur einen lapidaren privatrechtlichen Hilfsfonds für Sachleistungen, der den Opfern ohne Mitsprache aufdiktiert wurde. Noch im Jahr 2016 erarbeitet die wissenschaftliche Gruppe um Laudin und Dreier im Auftrag eine Expertise die Zwangsarbeit in den Heimeinrichtungen klar dokumentiert. Diese schlummert seit her ohne gesetzgeberisches Tätigwerden in den Katakomben des Wirtschaftsministeriums.

Die Rechtswirkung aus den Normen des Artikel 39 der Kinderrechtskonvention und der UN-Resolution 60/147 kann sich im Rechtsweg des Strafrehabilitierungsgesetzes StrRehaG für institutionelle Opfer von Menschenrechtsverbrechen der SED an Minderjährigen nicht voll entfalten. Zu benennen sind hier insbesondere die Auslauffrist 2019, die 180 Tage-Regelung, die Beweislast, die angegliederte Kammer (Erwachsenen- statt Jugendstrafrecht), die Hürde der Zumutbarkeit im Antragsstellungsverfahren, die eingegrenzten Verbrechensformen, die Abhängigkeit der Rehabilitierung auf Opferrente, das nicht vorhanden sein der Möglichkeit von Einmalzahlung für alte Opfer, die Begrenzung auf SED-Verbrechen die Westopfer von diesem Recht ausschließt, das offen lassen, wie mit ungerechtfertigter Zwangsadoption zu verfahren ist. Nicht dass dieses Gesetz nur gegen das Gleichheitsgebot gegenüber der Westopfer verstößt, wäre eine weitere Flickschusterei an diesem Gesetz unverantwortlich, wenn nur einer der aufgezählten Unzureichungen erhalten bliebe. Eine volle Entfaltung der Rechtsnormen aus UN- Resolution 60/147 und Artikel 39 der Kinderrechtskonvention kann nur ein explizites Minderjährigen-Opferentschädigungsgesetz bewirken, welches mit dieser Petition angeregt wird, per Gesetzesinitiative auf den Weg zu bringen, um im Gleichheitsgebot den Standards von Genugtuung, Genesung der Würde, Wiedergutmachung und der Wiedereingliederung in die Gesellschaft gegenüber den Opfern gerecht zu werden.

Das Kinderrecht wurde vor 28 Jahren ratifiziert. Erst Ministerin Schwesig erklärte, nun müssen sämtliche Gesetze überprüft werden, ob sie den Normen der KRK stand halten. Über das Ergebnis solcher Prüfung gab es nie eine Bekanntgabe. Fakt ist nur, institutionelle Opfer von Menschenrechtsverbrechen in Minderjährigkeit finden nur ungenügende Rechtswege vor, die in Art. 39 der Kinderrechtskonvention versprochene Genesung der Würde einzuklagen, die in Zusammenhang mit Resolution 60/147 Genugtuung, Entschädigung und Folgeschadenausgleich verspricht. Das SGB gilt nur bis 26 Jahre zwecks Bildungsförderung, das OEG beschränkt Opfer auf gesundheitliche Folgeschäden von min. 50%, das StrRehaG beschränkt sich auf politische Verfolgung und hat eine 180 Tage Regelung und setzt Rehabilitierung der Entschädigung voraus. Alles Zusammen unzulässige Hürden, die das Kinderrecht nicht kennt.



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Daher ist es für die Opfer so wichtig, nun Aufklärung zu erhalten, warum gesetzgeberisches Handeln unterlassen wird.

Für Fragen oder einem Gespräch stehe ich jederzeit zur Verfügung. Sollte ihnen eine schriftliche Aussage schwer fallen, können wir das auch gerne in einem mündlichen Termin besprechen.

Ich verbleibe in großer Erwartung auf Aufklärung
mit den allerbesten Grüßen


Robby Basler




Weitere Infos unter: www.kinderrechte-blog.byme-magazin.de


































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